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Windows Phone Marketplace: Freiheit ade!

Cristina Vidal

Cristina Vidal

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Es gibt Dinge, die dauern einfach etwas länger. So auch bei Microsoft. Geräte mit dem neuen Windows Phone 7 sollen bis Weihnachten auf den Markt kommen. Daher rührt Microsoft nun kräftig die Werbetrommel unter den Entwicklern für Windows Mobile. Eine Reihe so genannter Evangelisten reisen seit Wochen munter durch Europa und bringen Entwicklern die angeblichen Vorzüge von Windows Phone 7 und dem Windows Phone Marketplace näher. Wir von OnSoftware waren bei einer solchen Veranstaltung dabei und kommen seitdem aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Was die Redmonder auf dieser Veranstaltung präsentierten, löste als erstes ein starkes Deja vù aus: Microsoft scheint zwei Jahre nach Apple in dessen Fußstapfen zu treten und führt ein wenig innovatives Geschäftsmodell, dafür aber eines inklusive Wegezoll und Platzgebühren ein. Denn das neue Windows Phone 7 schränkt sowohl Nutzer als auch Entwickler und sogar Hardware-Hersteller erheblich ein.

Damit verliert Windows Mobile eines seiner Alleinstellungsmerkmale als Betriebssystem. Unter dem bisherigen Windows Mobile besitzen zum einen Nutzer die Hoheit über ihre eigenen Geräte und können auf ihre PDAs installieren, wonach ihnen der Sinn steht. Zum anderen durften die Entwickler bisher uneingeschränkt tüfteln und basteln, wodurch viele nette Programme das Licht der Netzwelt erblickten.

Mit der gewohnten Freiheit ist nun Schluss

Auf Windows Phone 7 dürfen Nutzer nur noch Software über Microsofts eigenen AppStore Windows Phone Marketplace installieren. Ebenso dürfen Entwickler Anwendungen für Windows Phone 7 nur noch über den Marketplace anbieten.

Ausnahmen, beispielsweise für firmeneigene Software, gibt es nicht. Unternehmen können damit ihre eigens entwickelten Programm nicht mehr selbst an die Mitarbeiter weitergeben. Sie müssen sich in dem Fall mit Windows Mobile 6.5 begnügen.

Selbst die Hardwarehersteller stehen unter Zwang: Jenseits der genormten Benutzeroberfläche in Windows Phone 7 duldet Microsoft keine alternativen Umgebungen wie beispielsweise die Oberflächen Sense oder Touch Flo bei HTC-Geräten mehr.

Microsoft selbst verteidigt das neue Korsett mit bereits aus anderen Zusammenhängen bekannten Argumenten: Man wolle durch die Einschränkungen die Anwender vor schlechter Software und vor der Überforderung durch eine ungewohnte Bedienung schützen.

Inwiefern diese Zensurmaßnahmen wirklich nur den Nutzer oder in Zukunft auch Firmeninteressen schützen, wird sich zeigen. Unter den Content-Richtlinien findet man auch Richtlinien zu Inhalten, welche die Grenze zum Puritanismus bereits überschreiten und außerhalb der USA vermutlich bestenfalls für Kopfschütteln sorgen.

Konditionen des Marketplace
Die ersten Windows Phone 7 Handys sollen zwar erst vor Weihnachten auf den Markt kommen, den Marktplace gibt es aber schon länger, da man hier schon Software für Windows Mobile 6 und 6.5 kaufen kann. Die Richtlinien von Windows Marketplace gelten also bereits für die dort angebotene Software.

Die engen Richtlinien erklären möglicherweise die geringe Anzahl an verfügbarer Software im aktuellen Windows Marketplace. So befinden sich im deutschen Store keine 250 Applikationen für Windows Mobile Professional – im Gegensatz zu Tausenden von Programmen auf unabhängigen Softwareportalen.

Zur Zeit können Programmierer aus nur 29 Ländern nach Zahlung einer Jahresgebühr von 75 Euro bzw. 99 US-Dollar eine unbegrenzte Anzahl an Apps hochladen. Die ersten fünf Uploads sind kostenlos, für jede weitere hochgeladene Software wird eine Registrierungsgebühr von ursprünglich ebenfalls 99 US-Dollar (neueren Informationen zufolge nur noch 19.99 US-Dollar) berechnet. Updates kann man kostenlos nachliefern. Erst ab einem Umsatz von 200 US-Dollar bekommen Entwickler jedoch ihr Geld ausgezahlt.

Alle Einzelentwickler müssen darüber hinaus einen Zertifizierungsprozess durchlaufen, um ein digitales Codesignaturzertifikat zu erhalten. Ihre Anwendungen werden durch dieses Zertifikat signiert, bevor sie im AppStore für den Download bereit gestellt werden.

Microsoft macht sich das Leben selbst schwer
Soweit erst einmal das Staunen, denn es stellt sich dabei tatsächlich die Frage nach dem verbleibenden gesunden Menschenverstand in Redmond. Womöglich haben in diesen Fragen Konkurrenzdenken und Rivalität gegenüber dem klaren Geschäftssinn die Oberhand behalten. Zu einem Zeitpunkt, an dem sich offenere Ansätze wie Android klar auf der Überholspur befinden, und auch andere Firmen wie Samsung und Nokia offene Wege beschreiten, ahmt der Redmonder Riese die Kultmarke Apple nach, ohne auf einen vergleichbaren Kultstatus  zurückgreifen zu können.

Bisher war einer der Vorteile von Windows Mobile die Nutzungshoheit der PDA-Besitzer und Entwickler über das Gerät. Jeder Bastler, Firmenanwender oder Programmierer konnte einen Pocket PC ohne Einschränkungen an die eigenen Bedürfnisse anpassen und Software für einen geschlossenen Personenkreis schreiben. Unzählige Entwickler-Treffs zeugen von einem bisher gesunden Basteltrieb.

Es ist fraglich, ob der Windows Marketplace überhaupt genügend Entwickler locken kann, um attraktive Programme neu zu entwickeln oder anzupassen. Denn mit weniger Aufwand erreichen Programmierer heute viel höhere Nutzerzahlen auf anderen Plattformen.

Was sich Apple im AppStore erlaubt, funktioniert wegen des enormen Markenprestiges. Microsoft kann auf dieses Elite-Bewusstsein einer unkritischen Nutzerschaft nicht bauen. Da hat man wirklich das Gefühl, einer zukünftigen Bauchlandung in Zeitlupe beizuwohnen.

Cristina Vidal

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